Von der Digitalisierung zur digitalen Transformation
Mit wenigen Themen haben sich Wirtschaftstreibende, Expert- Innen und ZukunftsforscherInnen in jüngster Zeit intensiver beschäftigt als mit dem Megatrend der Digitalisierung.
In unzähligen Beiträgen und Diskussionen werden die Auswirkungen der
digitalen Transformation auf Wirtschaft, Gesellschaft und Politik mit Blick auf damit verbundene Chancen und Herausforderungen ausgiebig und oftmals auch kontroversiell behandelt. Wenn über Digitalisierung oder digitale Transformation (Begriffe, die vielfach ein wenig unzutreffend synonym verwendet werden) disku- tiert wird, sind schnell plakative Metaphern zur Hand, um die Auswirkungen der Digitalisierung vor Augen zu führen. Eine davon ist die große Welle, die auf die globale Wirtschaft wie ein Tsunami zurollt und all jene Unternehmen mitreißen wird, die es nicht in kürzester Zeit schaffen, auf dieser Welle gleichsam wie mit einem Surfbrett zu neuen digitalökonomischen Ufern zu gleiten. Das Wellenreiten steht dabei für die Nutzung sogenannter „Game Changing Technologies“ wie
z. B. Big Data & Analytics, Artificial Intelligence, Robotics, Augmented Reality,
IoT (Internet of Things) oder Blockchain, um neue Geschäftspotenziale zu adressieren und den Mitbewerb auf Abstand zu halten.
Digitalisierung ändert die Spielregeln
Die Metapher der zerstörerischen Welle ist sicherlich ein überzeichnetes Bild der Wirklichkeit. Dennoch kann aufgrund der Erfahrungen und Entwicklungen der vergangenen Jahre davon ausgegangen werden, dass die gesamte Wirtschafts- landschaft innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre eine nachhaltige, wenn nicht zum Teil radikale Veränderung erfahren wird. Tatsächlich gibt es bereits eine Vielzahl an Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle und Businesspläne daran angepasst haben oder aktuell neu designen. Denn die disruptive Kraft der Game Changing Technologies ermöglicht es, dass binnen kürzester Zeit branchenfrem- de Mitbewerber in etablierte und bislang durch Zutrittsbarrieren geschützte Märkte eintreten, um dort die Spielregeln neu zu definieren. Einige Branchen haben die disruptiven Auswirkungen der digitalen Transformation schon voll zu spüren bekommen, andere stehen unmittelbar vor tiefgreifenden Veränderungen ihrer Geschäftsmodelle und Kundenbeziehungen.
Digitale Transformation in der Kundenbeziehung
Damit ist neben den Game Changing Technologies ein weiteres wichtiges Stich- wort im Kontext der digitalen Transformation gefallen: die Kundenbeziehung. Sie wird im Zeitalter der Digitalisierung noch viel stärker zum kritischen Erfolgsfaktor. Die KonsumentInnen sind bei der Nutzung von digitalen Technologien den Unter- nehmen oftmals weit voraus. Der habitualisierte Umgang mit Internet und Social Media mittels PC, Smartphones oder Tablets hat eine Alles-sofort-überall- Mentalität entstehen lassen, der Wirtschaftstreibende gerecht werden müssen, wenn sie erfolgreich sein wollen.
Digitales Leben und Arbeiten als Selbstverständlichkeit
Jahr für Jahr gibt es immer mehr Menschen auf dieser Welt, die ein Leben ohne Inter- net nicht kennen. Somit ist auch ihr Konsumverhalten sehr stark, wenn nicht domi- nant, durch das Internet geprägt. Dies stellt viele Unternehmen vor große Herausfor- derungen, weil die „Customer Journey“, also die einzelnen Etappen der KundInnen vor und nach der Kaufentscheidung, diesem Wandel angepasst werden muss.
Mehr als vier Milliarden Smartphones1) weltweit haben die Art und Weise, wie Menschen sich informieren, miteinander kommunizieren und mit Unternehmen in- teragieren, vollkommen verändert. Mobiles Internet über das Smartphone ermög- licht unabhängig von Ort und Zeit eine permanente Verbindung zu Social Media und Webangeboten. KundInnen kommunizieren auf immer mehr unterschiedlichen Kanälen mit Unternehmen und erwarten, dass die individuell bevorzugten Kanäle auch entsprechend bedient werden. Die neuen Anforderungen der KundInnen in Richtung einer Omni-Channel-Kommunikation, die vielfach in Echtzeit passiert, hat somit grundlegende Auswirkungen auf Marketing, Vertrieb und Service. Zudem wird die Nachfrage nach individualisierbaren Produkten und Services stark zuneh- men. Schon heute steht nicht mehr nur das physische Produkt im Vordergrund ei- ner Kaufentscheidung, sondern vielmehr das Serviceangebot rund um das Pro- dukt. Diese neue Generation von Internet-affinen KonsumentInnen recherchiert und kauft bevorzugt online. Sie erwarten von Unternehmen digitale Produkte und Dienstleistungen, die schnell, einfach und jederzeit verfügbar sind.
Laut der Studie „eCommerce Östereich 2018“ haben im Analysezeitraum knapp fünf Millionen ÖsterreicherInnen (+2 % gegenüber dem Vorjahr) im in- und aus- ländischen Online-Handel eingekauft und dabei insgesamt rund 7,2 Mrd. EUR (+6 % gegenüber dem Vorjahr) ausgegeben. Das entspricht mehr als einem Zehntel der einzelhandelsrelevanten Konsumausgaben. Die Dynamik beim On- line-Shopping wird noch übertroffen vom Boom beim Smartphone-Shopping: Ein Viertel der ÖsterreicherInnen kauft bereits via Smartphone im Internet ein. Der Wermutstropfen bei dieser Entwicklung ist jedoch, dass mittlerweile 57 % der KonsumentInnen bei ausländischen Online-Händlern einkaufen, die Loyalität zu heimischen Anbietern nimmt weiter ab.
Nicht zuletzt wegen dieses veränderten Konsumverhaltens kommt z. B. der Ent- wicklung von Smart Services eine wesentliche Rolle zu. Diese werden den KundIn- nen datenbasiert, als individuell konfigurierbares Leistungsangebot aus digitalen Dienstleistungen und physischen Produkten, über integrierte Plattformen (Mar- ketplace oder Apps) zur Verfügung gestellt. Die Bereitstellung solcher Online-An- gebote erfordert bei den Unternehmen und ihren Lieferanten allerdings ein hohes Maß an Flexibilität und Agilität. Und dies kann nur erreicht werden, wenn auf der einen wie auf der anderen Seite eine durchgängige Digitalisierung der Prozesse gegeben ist, um Daten auszutauschen und damit auf die Kundenanforderungen in Echtzeit reagieren zu können.
Die Grundlagen für die digitale Transformation schaffen
Beispiele wie dieses zeigen, dass es immer mehr zu einem kritischen Erfolgsfaktor wird, die Auswirkungen der Digitalisierung auf das eigene Unternehmen sowie auf das Geschäftsmodell rechtzeitig zu erkennen, eine strategische Antwort darauf zu finden und diese auch umzusetzen. Laut einer Studie von Contrast Ernst & Young (2016) gaben beispielsweise mehr als 50 % der befragten Unternehmen an, dass sie ihr aktuelles Geschäftsmodell für nicht zukunftsfähig halten, und mehr als 60 % der Unternehmen verfügten zu diesem Zeitpunkt noch über keine fundierte Strate- gie, wie sie mit der digitalen Transformation konkret umgehen sollen.
Der Wandel zur Digitalisierung ist kein „klassisches“ IT-Projekt
Im Unterschied zu vielen effizienzsteigernden Veränderungsprozessen vergange- ner Jahrzehnte betrifft die digitale Transformation umfassende Teile der Unter- nehmensprozesse, wenn nicht sogar das gesamte Geschäftsmodell. Das macht sie zu einem komplexen Change-Projekt mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit und den Markterfolg des Unternehmens in der digitalen Welt sicherzustellen.
Um diesen Change-Prozess erfolgreich zu gestalten, muss sich die digitale Agen- da eines Unternehmens auf den Auf- und Ausbau neuer Fähigkeiten mit Fokus auf sich ändernde Kundenbedürfnisse, digitale Geschäftsmodelle, agile konzeptio- nelle Entwicklung und technologische Implementierung von entsprechenden Produkten konzentrieren.
Die digitale Transformation beginnt im Kopf
Einen zentralen Aspekt in diesem Prozess stellt die Unternehmenskultur dar. Ein offenes digitales Mindset ist speziell im Management Voraussetzung, um die Mit- arbeiterInnen für die digitale Transformation gewinnen und begeistern zu kön- nen. Teamarbeit, Vertrauen und Agilität sind dabei die Eckpfeiler des Erfolgs. Ein Umfeld zu schaffen, das Innovation und Kreativität fördert, gehört dabei ebenso dazu wie Transparenz bei den Umsetzungsmaßnahmen. Vielen UnternehmerIn- nen wird immer mehr bewusst, dass eine aktiv gelebte, digital inspirierte Unter- nehmenskultur einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil darstellen kann, da sie von anderen nicht ohne Weiteres kopiert werden kann.
Digitalisierung oder digitale Transformation?
Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffes Digitalisierung geht auf die 1980er Jahre zurück. Er bezeichnete das Digitalisieren von analogen Signalen in binäre, digitale Formate, um sie informationstechnisch verarbeiten zu können. Das durchgängige Digitalisieren sämtlicher Informationen des Produktionsumfelds und zugehöriger Prozesse inklusive Kundenschnittstellen ermöglicht Unterneh- men ein enormes Maß an Effizienzsteigerung (keine Medienbrüche, Daten in Echtzeit verfügbar, Omni-Channel Customer Touchpoints usw.) und eröffnet da- mit einhergehend auch das Potenzial für nachhaltige Kostenreduktionen.
Sobald eine solche „Digitalisierung des Unternehmens“ und seiner Prozesse er- folgt ist, kann damit begonnen werden, sämtliche Aktivitäten und Akteure – intern wie auch extern – miteinander zu vernetzen. Damit beginnt die reale digitale Transformation und man kann bereits von einem „smarten“ Unternehmen spre- chen, in dem alle beteiligten Menschen, Komponenten, Maschinen, Werkzeuge sowie Services und Produkte in Echtzeit miteinander interagieren können. Die Kommunikation erfolgt dabei vielfach über Sensoren des Internet of Things (IoT), die permanent Daten zu Produktionsabläufen, Wartungsanforderungen, Logistik, Vertrieb und vielem mehr liefern.
Bereits heute sind in vielen Industrieunternehmen bis zu mehrere zehntausend IoT-Sensoren verbaut, die rund um die Uhr Millionen von Daten liefern. Schätzun- gen zufolge werden es alleine in Österreich im Jahr 2020 an die 80 Millionen Sen- soren sein, die über das Internet of Things vernetzt sein werden und miteinander oder mit Menschen interagiren. Dies führt unmittelbar zum Thema Big Data. Erst die Digitalisierung und Vernetzung von Systemen und Anwendungen ermöglichen die Verfügbarkeit von Informationen, die sich aus Daten aus allen wertschöp- fungsrelevanten Aktivitäten des Unternehmens zusammensetzen.
Der digitale Wandel ist gekommen, um zu bleiben
Die digitale Transformation ist keine Modeerscheinung, sondern ein Megatrend (Stichwort: „Industrie 4.0“), der permanent, dynamisch und in kürzesten Abstän- den neue Generationen an digitalen Technologien hervorbringt. Diese werden nicht nur von Start-ups genutzt, sondern auch von etablierten Unternehmen, um innovative Geschäftsmodelle zu entwickeln und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen oder für neue Wettbewerbsvorteile zu sorgen. Die Game Chan- ging Technologies sind dabei Wegbereiter für die digitale Transformation in prak- tisch allen Wirtschaftssektoren. Und unabhängig davon, ob sich die Geschäfts- modelle im Einzelnen als ein wettbewerbsverändernder Durchbruch erweisen: Die Management-Agenda so gut wie aller Unternehmen wird auf lange Zeit hin von der digitalen Transformation stark beeinflusst werden. Denn es ist mittlerwei- le mehr als offensichtlich, dass die Digitalisierung mit Blick auf kundenorientierte Services, wirtschaftliches Wachstum, soziale Chancengleichheit bezüglich Infor- mation, Bildung und Wissen sowie Nachhaltigkeit und Ressourcenschonung enorme Potenziale eröffnet. ▬
1) Ericsson Mobility Report (2018)